Statement der BIC Internationale Bahai-Gemeinde zur 66. Sitzung der UN-Frauenrechtskommission

Das Herz der Widerstandskraft: Die Klimakrise als Katalysator für eine Kultur der Gleichberechtigung

New York—12. Februar 2022

 

In einer Welt, in der die drohenden Risiken des Klimawandels täglich aufs Neue sichtbar werden, zeigt sich zweierlei: zum einen sind Frauen unverhältnismäßig stark vom Klimawandel betroffen, zum anderen sind sie in einzigartiger Weise in der Lage, die Anstrengungen zu dessen Bewältigung voranzutreiben. Als Folge von klimabedingten Katastrophen, werden Lebensgrundlagen, die unmittelbar von stabilen und gesunden Ökosystemen abhängen – und oft weitgehend von Frauen gesichert werden – zerstört. Viele verlieren den Zugang zu Land, zu Wohnraum sowie zu finanzieller Unterstützung oder Entschädigung. Dort, wo Gesellschaften schon jetzt die Möglichkeiten von Frauen nicht voll ausschöpfen, nimmt die Anfälligkeit zu. Dennoch sind Frauen nicht nur Opfer. Ihre Einsichten prägen das Spektrum menschlicher Erfahrung und machen es möglich, ein umfassenderes Bild der Realität zu zeichnen. Häufig in weitreichende Netzwerke eingebunden sind Frauen ein integraler Bestandteil gemeinschaftlichen Wohlergehens, gemeinschaftsbasierter Lösungen und gesellschaftlicher Mobilisierung. Ob als Führungskräfte in der Wirtschaft, als politische Entscheidungsträgerinnen, als Klimaaktivistinnen, als Kleinbäuerinnen oder in einer Vielzahl anderer Funktionen leisten Frauen weltweit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz, zur Nutzung natürlicher Ressourcen, zur Ernährungssicherheit und zu wissenschaftlichen Innovationen für nachhaltige Lösungen. Ob jung oder alt, die Erfahrungen von Frauen bieten tiefe Einblicke in den Schutz der Heimat der Menschheit, der jetzigen Generation und der zukünftigen. Damit das Potenzial von Frauen voll ausgeschöpft werden kann, besteht in zweierlei Hinsicht Handlungsbedarf: die Präsenz von Frauen in Führungspositionen muss erhöht werden und es müssen Bedingungen geschaffen werden, die es Frauen ermöglichen, sich stärker am gesellschaftlichen Leben zu beteiligen.

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          Angesichts wachsenden Klimarisiken wird immer deutlicher, wie sehr die Menschheit davon profitiert, wenn die Führungsrolle von Frauen auf allen Ebenen der Gesellschaft anerkannt und gefördert wird, sei es in der Familie, der Gemeinde,

der Kommunalverwaltung, in Unternehmen oder auf nationaler Ebene. Führungsqualitäten wie Durchsetzungsvermögen und Wettbewerbsfähigkeit, die üblicherweise mit dem Männlichen assoziierten werden, haben sich als begrenzt erwiesen, wenn sie nicht ausgeglichen werden durch Eigenschaften, die typischerweise mit dem Weiblichen assoziiert werden, wie z. B. die Bereitschaft zu

Zusammenarbeit und Inklusion aller sowie die Neigung zu Fürsorge und Selbstlosigkeit. Die Tendenz, längerfristigen Interessen den Vorrang zu geben, das Wohlergehen künftiger Generationen zu berücksichtigen und die Auswirkungen von politischen Maßnahmen auf den Menschen zu untersuchen, werden zunehmend als notwendige Instrumente bei der Formulierung umweltbewusster Programme und Strategien zum Aufbau widerstandsfähigerer Gemeinschaften anerkannt. Natürlich können Führungspersönlichkeiten unabhängig von ihrem Geschlecht diese Eigenschaften aufweisen. Doch durch eine stärkere Beteiligung von Frauen in Führungspositionen werden diese Qualitäten konsequenter die Führungskultur beeinflussen und praktische Strategien prägen.

 

          Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Möglichkeiten für die Beteiligung von Frauen auf verschiedenen Führungsebenen und in verschiedenen gesellschaftlichen Positionen geschaffen werden, damit ihre Erfahrungen zunehmend in wichtige Entscheidungen einfließen können. Damit jedoch ein wirksames Engagement in vollem Umfang zum Tragen kommt, muss die Verpflichtung auf den Grundsatz der Gleichstellung der Geschlechter bewusst in die Prozesse politischer Führung eingebettet werden, und die institutionellen Systeme müssen so umgestaltet werden, dass sie zu gerechten Beziehungen führen. Es müssen Möglichkeiten geschaffen werden für die aktive Mitwirkung von Frauen an der Gestaltung von Entscheidungsräumen. Die Erkenntnis, dass eine Vielzahl von Perspektiven eine Voraussetzung für eine wirksame Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Herausforderungen ist, muss jedes Entscheidungsumfeld prägen. Dies gehört zu den Bemühungen, historisch von Männern dominierte Räume in inklusive Umgebungen umzuwandeln, in denen sich alle bestärkt fühlen, sich zu engagieren, und in denen Männer, motiviert durch einen Geist des Verständnisses, lernen, sich wirklich mit Frauen zu beraten und gemeinsam mit ihnen zu handeln. In dem Maße, in dem jeder Einzelne für seine unterschiedlichen Beiträge zum Kollektiv geschätzt wird, kann sich eine Vertrauensbasis herausbilden, die für die Widerstandskraft jeder Gemeinschaft von entscheidender Bedeutung ist – nicht nur einer Gemeinschaft von Einzelnen, sondern auch von Institutionen, die sich für das Wohl aller einsetzen. Der Aufbau von reiferen Beziehungen innerhalb von Führungssystemen wird somit sowohl zu einem Prozess als auch zu einem Ergebnis bei der Entwicklung von Strategien, die in der Lage sind, auf die Auswirkungen des Klimawandels zu reagieren.

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Um einen dauerhaften Wandel herbeizuführen, muss sich die gesamte Gesellschaft der Gleichstellung der Geschlechter widmen und sich für den Aufbau eines öffentlichen Lebens einsetzen, das von Frauen und Männern in dynamischer Partnerschaft in allen Lebensbereichen gestaltet wird. Auf globaler Ebene ist eine internationale Politik, die sich an den Grundsätzen der Gerechtigkeit, Gleichheit und Würde orientiert, unerlässlich, um die Voraussetzungen für eine Kultur der Gleichstellung zu schaffen, ebenso wie die Schaffung globaler Institutionen, die die Aufgabe haben, die aus den lokalen Erfahrungen gewonnenen Erkenntnisse zu systematisieren. Die Arbeit zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter muss also sowohl im lokalen als auch im internationalen Kontext erfolgen. In Dili, Timor-Leste, beispielsweise trugen die Bemühungen sechs Monate vor einem verheerenden Wirbelsturm ein gemeinsames Muster des Gemeindelebens zu schaffen, zur Widerstandskraft der Gemeinde bei. „In dieser kurzen Zeit haben wir viel darüber gelernt, wie wir gemeinsam als Einheit dienen können. Jeden Tag handeln und reflektieren wir und planen dann für den nächsten Tag“, so ein Mitglied der Gemeinde. Diese Art der Zusammenarbeit, die sich von vorgefertigten Fortschrittsvorstellungen entfernt, trug dazu bei, solche Fähigkeiten und Netzwerke zu entwickeln, wie sie für die Bildung von Hilfsstrukturen zur Verteilung von Nahrungsmitteln und anderen lebensnotwendigen Gütern erforderlich sind. Ohne eine Gegenleistung zu erwarten, unterstützten sie mehr als 7.000 Menschen in 13 Dörfern und Stadtteilen, als der Zugang zu externer Hilfe abgeschnitten war. Jugendliche, die an ethisch-spirituellen Programmen teilnahmen, die sie darin bestärkten, der Gesellschaft zu dienen, entwickelten in Okcheay, Kambodscha, gemeinsam ein lokales Baumpflanzungsprojekt, das ein Jahr später bei schweren Überschwemmungen einen Abschnitt ihrer Straßen vor Bodenerosion schützte. Diese Bemühungen, so einfach sie auch sein mögen, geben einen Einblick in die Art und Weise, wie die Kultivierung von integrativen und kohäsiven Gemeinschaften nicht nur den Willen zum Durchhalten und Überleben, sondern auch zum Leben im höchsten Sinne des Wortes fördern kann.

 

Die Gemeinde, ein Baustein der globalen Arena, kann einen Raum bieten, in dem alternative, integrative und kooperative Lebensweisen zum Ausdruck kommen, in dem Männer Frauen uneingeschränkt als gleichberechtigte Partnerinnen sehen und wo alle befähigt werden, Führungsqualitäten zu entwickeln. Von der Basis her aufgebaut, werden neue Muster des Gemeinschaftslebens in ein größeres globales Unternehmen eingebettet, da Gemeinschaften, die lernen, den Grundsatz der Gleichstellung der Geschlechter unter allen Umständen zum Wohle aller anzuwenden, zu einem wachsenden Wissensbestand auf internationaler Ebene beitragen. Ein solcher Prozess kann verschiedene Formen annehmen. Die weltweite Bahá’í-Gemeinde hat ihrerseits zusammen mit anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gelernt, wie man geistige Prinzipien auf das Leben der Gemeinschaft anwendet, um vorurteilsbehaftete Barrieren für die Beteiligung von Frauen abzubauen. Durch moralische Bildungsprogramme wird den Teilnehmenden von klein auf eine Haltung von Einheit und Gemeinschaft vermittelt, so dass sie sich gegenseitig als geschätzte Verbündete ansehen, die sich für das Wohlergehen ihrer Gemeinschaften einsetzen. Im Mittelpunkt dieses Prozesses steht das Konzept des Aufbaus von Kapazitäten, d.h. der Verbesserung der Fähigkeit der Teilnehmenden, die materiellen, sozialen und spirituellen Gegebenheiten ihrer Gesellschaft besser zu verstehen und die nächsten Schritte zu planen, während sie gemeinsam ihren eigenen Weg des Fortschritts beschreiten und ihre Erfüllung im Dienst finden. Zu diesem Zweck sind auf organische Weise Räume entstanden, in denen Einzelpersonen gemeinsam über ihre Herausforderungen nachdenken, konstruktive Antworten finden und tiefere Fragen nach dem Sinn des Lebens erkunden können. Diese Räume können als Arenen dienen, in denen Hoffnung in schwierigen Zeiten zum Ausdruck kommt und Solidaritätsbande gestärkt werden können. Die oben genannten Beispiele zeigen, dass die Fähigkeiten, Einstellungen und Qualitäten, die eine Gemeinschaft kennzeichnen, ihre Widerstandskraft angesichts extremer Ereignisse oder anhaltender Umweltbelastungen stärken können.

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Die Vereinten Nationen sind in der einzigartigen Position demonstrieren zu können, wie eine solche Gleichstellungskultur auf internationaler Ebene aussehen könnte, indem sie beispielsweise offene Beratungsräume zwischen ihren Agenturen schaffen, ihre verschiedenen Prozesse im Zusammenhang mit der Gleichstellung der Geschlechter und der Inklusion harmonisieren und lernen, wie ihre interne Struktur diese Grundsätze zunehmend widerspiegeln könnte. Die Vereinten Nationen werden zweifellos auch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung internationaler politischer Rahmenbedingungen und bei der Förderung von Initiativen spielen, die eine stärkere Anerkennung des Gebots der Geschlechtergleichstellung bewirken. Und sie könnten den Austausch von Wissen erleichtern, das von den Akteuren auf allen Ebenen geschaffen wurde. In dieser Hinsicht könnten wichtige Überlegungen wie die Frage, wie institutionelle und gesellschaftliche Arrangements umgestaltet werden können, um eine bedeutsame Beteiligung von Frauen zu ermöglichen, sowie die Frage, wie kohäsive Gesellschaften noch vor dem Ausbruch einer Katastrophe geschaffen werden können, in internationalen Gremien wie dieser Kommission regelmäßig neu erörtert werden.

 

Der Zustand der Welt verweist auf die universelle Wahrheit, dass die kollektiven Erfahrungen der Menschheit miteinander geteilt werden und dass das gesamte Spektrum an Perspektiven auf jeder Ebene politischer Führung vertreten sein muss, um zu wirkungsvollen Antworten zu gelangen. Es gibt immer mehr Beispiele dafür, dass reifere Formen des Gemeinschaftslebens und institutionelle Arrangements Frauen in die Lage versetzt haben, angesichts lokaler Nöte und globaler Katastrophen als wirksame Protagonistinnen aufzutreten. Gerade in turbulenten Zeiten gibt es tiefgreifende Möglichkeiten, kollektive Werte und die ihnen zugrunde liegenden Annahmen neu zu definieren. Die Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt, sollten als Katalysator dienen, um neue Ansätze für integrative Formen des Regierens und gerechte Muster des Gemeinschaftslebens zu entwickeln, die das gesamte Spektrum menschlicher Erfahrungen erschließen.

 

 

Original: https://www.bic.org/statements/heart-resilience-climate-crisis-catalyst-culture-equality

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