Handout Rolle der Frau

Was sagen die Heiligen Schriften des Bahá’í-Glaubens zur Rolle der Frau?
Der Grundsatz von der Einheit der Menschheit wird in den Bahá’í-Schriften als der Dreh-
und Angelpunkt beschrieben, um den alle Lehren Bahá‘u’lláhs kreisen. Die
Gleichberechtigung von Mann und Frau ist ein wichtiges Element auf dem Weg zur Einheit
der Menschheitsfamilie. Aus Bahá’í-Sicht ist Gleichberechtigung nicht einfach eine Frage
der persönlichen Rechte und Chancen, die man bekommt oder nicht bekommt. Sie ist eine
Grundvoraussetzung für die Schaffung des Friedens, und ihre Verwirklichung ist für die
volle Entfaltung von Männern wie Frauen unverzichtbar.

Bahá’u’lláh unterstreicht unmissverständlich die geistige Gleichheit von Frauen und
Männern. Er erklärt: „Im Angesicht Gottes waren Frauen und Männer von je her gleich und
werden es immer sein.“ „Die Feder des Allhöchsten hob Unterschiede zwischen Seinen
Dienern und Dienerinnen auf und verlieh allen durch Seine vollendete Gunst und
allumfassende Barmherzigkeit Rang und Stand auf gleicher Stufe.“


Sein Nachfolger und bevollmächtigter Ausleger Abdu’l-Bahá führte dazu weiter aus: „Die
Menschenwelt hat zwei Flügel: den einen bilden die Frauen, den anderen die Männer. Nur
wenn beide Flügel gleichmäßig entwickelt sind, kann der Vogel fliegen. Bleibt ein Flügel
schwächlich, so ist kein Flug möglich.“


Die Bahá’í-Lehren unterstreichen nicht nur die geistige Gleichheit, sondern stellen darüber
hinaus klar, dass die sittlichen Qualitäten und intellektuellen Fähigkeiten der Frauen denen
der Männer absolut gleichrangig sind, und dass Frauen Anspruch auf die gleichen Rechte
und Chancen wie Männer haben. Einige Folgerungen, die sich aus der Gleichberechtigung
der Frauen ergeben, werden in den Bahá’í-Schriften näher ausgeführt. Dazu gehören gleiche
Chancen in der Bildung und auf dem Arbeitsmarkt, das Wahlrecht und das Recht,
Regierungsämter zu bekleiden sowie die Gleichstellung in allen Lebensbereichen.
Das Eherecht beinhaltet, dass Keuschheit für Männer und Frauen gleichermaßen gelte, die
Einehe vorgeschrieben ist, Mann und Frau gleichermaßen das Recht haben, eine Ehe
vorzuschlagen und jeder der Partner die Scheidung einreichen kann.


Die große Bedeutung, die der Bahá’í-Glaube der Bildung der Mädchen und Frauen beimisst,
wird von Abdu’l-Bahá dahingehend erläutert, dass unter bestimmten Bedingungen die
Erziehung der Mädchen Vorrang haben muss, da sie als Mütter die ersten Erzieher jeder
Generation sein werden.

„In der Vergangenheit wurde die Welt durch Gewalt regiert, und der Mann herrschte
aufgrund seiner stärkeren und mehr zum Angriff neigenden körperlichen und
verstandesmäßigen Eigenschaften über die Frau. Aber schon neigt sich die Waage, Gewalt
verliert ihr Gewicht, und geistige Regsamkeit, Intuition und die geistigen Eigenschaften der
Liebe und des Dienens, in welchen die Frau stark ist, gewinnen an Einfluss.“

„Erst wenn die Frau in allen Bereichen menschlichen Strebens als gleichwertige Partnerin
aufgenommen wird, entsteht das moralisch-psychologische Klima, aus dem der Weltfrieden
hervorgehen kann.“ (Das Universale Haus der Gerechtigkeit)


Eine prägende Frauengestalt des Glaubens – Tahirih
(gesprochen: Tahereh) wurde 1817 im Iran in einer Familie von Geistlichen geboren. Sie
kam als eine der wenigen Frauen im Persien des 19 Jahrhunderts in den Genuss von Bildung
und wurde zu einer herausragenden Dichterin und mitreißenden Rednerin. Mit 13 Jahren
verheiraten ihre Eltern sie mit ihrem Vetter. Sie bekam 3 Kinder. Ihr Hunger nach Wissen
ließ aber nicht nach. In der Bibliothek eines Vetters stieß sie auf die Schriften Shayhk
Ahmads und Siyyid Kazims. Darin kündigten sie das Erscheinen eines neuen Offenbarers
an. Um mehr über diese Verheißungen aus dem Koran zu erfahren, reiste sie nach Karbila.
Doch der Leiter der Schule, Siyyid Kázim, war kurz vor ihrer Ankunft verstorben. Doch
bald darauf war sie es, die die Ansprachen hielt, die neuen Interpretationen der
Überlieferungen im Sinne ihrer beiden progressiven Lehrer weitertragend. Sie sprach
verborgen hinter Vorhängen, denn die anwesenden Männer durften sie nicht sehen. Sie lebte
ein asketisches Leben zwischen Studium, Gebet und Meditation, um für die Ankunft des
Verheißenen bereit zu sein. In dieser Phase höchster Vergeistigung erschien ihr im Traum
eine männliche Gestalt in Gebetshaltung. Die Worte , die er sprach, notierte sie sofort nach
dem Erwachen. Und genau dieses Gebet las sie wenig später in einem Schriftstück, das ihr
persönlich nach Karbila gebracht worden war. Es stammte von Báb, der in Shiraz den
Anspruch erhoben hatte, eben jener Qa’im (der Verheißene) zu sein. Sie wurde zur ersten
weiblichen Anhängerin des Báb. Er erklärte sie zu einem der 18 „Buchstaben des
Lebendigen“ ( diejenigen, die ihn als erste erkannt hatten) und von denen Tahirih die einzige
Frau war. Sie übersetzte seine Werke aus dem Arabischen ins Persische und sprach in
verschiedenen Städten öffentlich mit großem Wissen und Kenntnissen des Koran über den
Anspruch des Báb. Sie führte zahlreiche Menschen zum neuen Glauben.
Anfangs herrschte unter den Anhängern des Báb ein unterschiedliches Verständnis über
seine Sendung. War er ein Reformator oder ein neuer Bote Gottes? Um diese Frage zu
klären, berief Bahá’u’lláh, zu dieser Zeit einer der führenden Anhänger des neuen Glaubens,
eine Konferenz ein. Bei einer Zusammenkunft der Gläubigen erschien Tahirih in festlicher
Kleidung und ohne Kopfbedeckung, was zunächst zu einem heftigen Tumult unter den
anwesenden Männern führte. Damit verlieh sie der Botschaft des Báb vom Anbruch eines
neuen Zeitalters einen Ausdruck und führte den Anwesenden den Anbruch dieser neue Zeit
vor Augen.
Tahirih verlebte den Rest ihrer Tage in Hausarrest und Gefangenschaft und wurde im
August 1852 auf Betreiben der Geistlichkeit mit ihrem Schal erdrosselt. Vor Ihrem Tod soll
sie nach Berichten von Zeitzeugen diese Worte gesprochen haben:
„Ihr könnt mich töten, aber ihr könnt den Fortschritt der Frauen nicht aufhalten.“

Die Nachricht ihres Märtyrertodes drang bis nach Europa. Ihr Schicksal hatte Einfluss auf
die Anfänge der westlichen Frauenbewegungen und auf Künstler.
Weitere Informationen: www.bahaifrauenforum.de

Eine historische Gestalt des Glaubens – Alice Schwarz-Solivo
Alice Schwarz war eine der ersten Gläubigen in Deutschland. Sie wurde 1875 in Stuttgart
geboren. Sie heiratete Konsul Albert Schwarz . Das Paar hatte drei Kinder.
Im Jahr 1912 erfuhr sie vom Bahá’í-Glauben und begann, die Lehren näher zu erkunden.
Schon kurze Zeit später kündigte sich ein besonderes Ereignis an: Abdu’l-Bahá befand sich
auf einer ausgedehnten Reise durch Europa und USA. Kurzerhand lud sie ihn zu einem
Besuch nach Stuttgart ein. Der Einladung folgend war Abdu’l -Bahá mehrmals zu Gast bei
Familie Schwarz und dies wurde zu einem prägendes Erlebnis für die Gläubigen im Raum
Stuttgart. Sie hielt ihre Erinnerungen an diesen Besuch in dem Buch „Zeiten, die mein Herz
bewegten“ fest.

Nach dem Besuch Abdu’l-Bahás stand sie im Briefwechsel mit ihm. Sie brachte die erste
Bahá’í-Zeitschrift heraus, in der sie Übersetzungen der Schriften Bahá’u’lláhs
veröffentlichte und war maßgeblich an der Gründung des Bahá’í-Verlags beteiligt. In
Vorträgen und Zeitungsartikeln machte sie die Lehren Bahá’u’lláhs bekannt.1922 nahm das
Ehepaar Schwarz an einer Beratung im Heiligen Land, dem heutigen Sitz des Bahá’í-
Weltzentrums, teil. Bei der später im Jahr stattfindenden Wahl des Nationalen Geistigen
Rates von Deutschland und Österreich, wurde Alice Schwarz zunächst als Mitglied und
später als dessen Vorsitzende gewählt. Mitte der 1930er Jahre galt sie als die älteste aktive
Bahá’í Deutschlands.
Unter dem Naziregime wurde der Nationale Geistige Rat 1937 aufgelöst und die Bahá’í-
Literatur von Alice Schwarz beschlagnahmt. Sie starb 1965 in Stuttgart, kurz vor ihrem 90.
Geburtstag.


Die Rolle der Frau im Gemeindeleben
Im Bahá’í-Glauben gibt es keine Berufsgeistlichen. Die Gemeinden organisieren sich nach
der in den Schriften festgelegten administrativen Ordnung. Darin werden Institutionen
gewählt, jährlich der Örtliche Geistige Rat und Nationale Geistige Rat und alle fünf Jahre,
auf Weltebene, das Universale Haus der Gerechtigkeit. Sie setzen sich jeweils aus neun
Personen zusammen.
Von Anfang an haben die Frauen aktiv in der Entwicklung der Bahá’í-Gemeinde
mitgewirkt. Mit viel Kraft, Mut, Ausdauer und Liebe setzten sie sich für ihren Glauben und
ihre Überzeugungen ein. Sie wirkten für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Frieden.
Der Bahá’í-Glaube ist eine Weltreligion, die in den einzelnen Ländern auf unterschiedliche
Gegebenheiten traf. In Ländern, in denen Frauen aufgrund ihrer traditionellen Rolle keinen
Platz im öffentliche Leben einnahmen, bereiteten sie sich auf eine aktive Teilnahme am
Gemeindeleben vor. Dazu gehörten Alphabetisierungsprogramme, Frauenkonferenzen und
Programme zur Stärkung der Kompetenzen der Frauen, um in allen Bereichen des
Gemeindelebens an Beratungen aktiv teilzunehmen. Darüber hinaus spielt jedes Mitglied
der Gemeinde eine aktive Rolle, z.B. als Gastgeber einer Andachtsversammlung oder bei
der geistigen Erziehung der Kinder. Frauen und Männer arbeiten Schulter an Schulter
zusammen.
Das deutsche Bahá’í-Frauen-Forum widmet sich in Gemeinde und Gesellschaft der
Umsetzung des Prinzips der Gleichberechtigung der Geschlechter.
Die Bahá’í Weltgemeinde unterhält als NGO Büros bei den Vereinten Nationen in New York
und Genf. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Gleichberechtigung von Frau und Mann zu
fördern. bic.org