Bericht Interreligiöser Dialog Rolle der Frau

Der Geist der Einheit der Religionen im Interreligiösen Dialog im Bürgerhaus in Heide, Schleswig-Holstein, 14.März 2023

„Die Menschenwelt hat zwei Flügel: den einen bilden die Frauen, den anderen die Männer.
Nur wenn beide Flügel gleichmäßig entwickelt sind, kann der Vogel fliegen. Bleibt ein
Flügel schwächlich, so ist kein Flug möglich.“

Mit diesem Zitat Abdu´l-Bahá´s begann die Moderatorin wunderbarerweise ihre Einführung zu diesem Interreligiösen Dialog in Heide/Schleswig-Holstein. Dieses Zitat hätte ihr besonders gut gefallen, würde es doch letztlich unser Ziel darstellen! Denn „ es ist möglich, verschieden zu sein, und doch eine Einheit zu bilden. Wenn wir dieser Sehnsucht Raum geben, finden wir Lösungen für ein Miteinander, bauen Brücken
statt Mauern.“ (Zitat: Doro Zachmann).

Vier Referentinnen aus dem Judentum, dem Islam, dem Christentum und des Bahá´í-Glaubens trafen sich vor ca. 40 Zuhörerinnen und Zuhörern zu einem Interreligiösen Dialog, der in diesem Format bereits seit 2018 zwei Mal im Jahr stattfindet
und vom OffenenKanalSchleswig-Holstein aufgezeichnet wurde und in deren Mediathek nachzuhören ist.

Regine Shahedinejad, als Referentin, und ich bereiteten uns auf vier abgesprochene Fragestellungen für ein Handout vor, das die Referentinnen und die Moderatorin und, am
Veranstaltungsabend, jeder Zuhörer und jede Zuhörerin erhielten:


– „Was sagen die Heiligen Schriften des Glaubens zur Rolle der Frau?“

– „Eine prägende Frauengestalt des Glaubens.“

– „Eine historische Gestalt des Glaubens.“

– „Die Rolle der Frau im Gemeindeleben.“

Bereits im ersten Teil der Veranstaltung zeigten die Zitate aus den Heiligen Schriften aller Religionen auf, dass vor Gott Mann und Frau gleich gestellt sind! Es kommt bei allen Menschen nur auf die Reinheit der Seelen und ihre Demut vor Gott an. Über diese Übereinstimmung in den Heiligen Schriften waren die Zuhörer offensichtlich sehr erstaunt, war diese weder bekannt noch erwartet worden.

Spannend wurde es nun zu hören, wie diese Gleichwertigkeit vor Gott in den verschiedenen Religionen gelebt wurde, sich im Laufe der Geschichte entwickelte.
Die Referentinnen berichteten aus ihrem Handout, dass in allen Religionen in den frühen Jahren des jeweiligen Glaubens es starke Frauen waren, die die Gläubigen
zusammenhielten, die am Glauben festhielten.

Esther rettete die Juden im großen persischen Reich, Maria Magdalena war diejenige, die die Jünger nach dem Tod Jesu aufrichtete. Zum Erstaunen der Zuhörer berichtete die Referentin der Ahmadiyya-Gemeinde von „Maria, der Mutter Jesu, die, wie der Koran berichtet, wie die Mutter Moses´, die höchste
Stufe der geistigen Entwicklung erreichte, auf der ein Mensch Offenbarung von Gott erhält und in ein Zwiegespräch eintritt.“

Jesu Umgang mit Frauen macht deutlich, dass Er ihnen eine höhere gesellschaftliche Stellung zumaß, als es damals üblich war. Die Erzählung von der Purpurhändlerin Lydia aus Thyatira berichtet von einer eigenständigen Geschäftsfrau, einer Gottesfürchtigen, alleinigen Hausherrin, die Paulus und dessen Begleiter Silas in Philippi einlädt, bei ihr zu wohnen.

Doch bereits in diesen 90er-Jahren des ersten nachchristlichen Jahrhunderts entstand eine Tendenz, Frauen zu beschränken, berichtete die Referentin.

Wir hatten Tahirih als eine prägende Frauengestalt des Glaubens ausgewählt, die, aus
einer schiitischen Familie mit mehreren Geistlichen stammend, hoch gebildet in den Schriften des Koran war, eine Dichterin, innerlich stark und unabhängig, die einzige Frau unter den Buchstaben des Lebendigen. Sie übersetzte die ersten Texte des Báb aus dem
Arabischen ins Persische und verbreitete die Lehren mit großer Überzeugungskraft. Durch
das Ablegen des Schleiers auf der Konferenz in Badasht bekundete sie den Beginn einer neuen Zeit, das Gelten der neuen Religion. Ihre Geschichte und ihr Schicksal, das auch in westlichen künstlerischen Werken aufgegriffen wurde, beeindruckte die Zuhörer erkennbar. Es kamen einige verwunderte Fragen seitens der anderen Referentinnen zu
Tahiris Leben und Selbständigkeit.

Bereits in der Pause, für die die Frauen der Ahmadiyya-Gemeinde ein wundervolles Buffet angerichtet hatten, kam es zu lebhaften und interessierten Gesprächen unter den Anwesenden. Ich wurde zu Tahirih befragt und wie ich zu dem Bahá´í-Glauben kam. Erstaunt wurde festgestellt, dass es auch hier Bahá´ī gab! Mit der jüdischen Referentin verabredete ich, Kontakt zu halten. Es war Fastenzeit und mein sehr spätes Fastenbrechen löste bei den muslimischen
Frauen ein solidarisches und verständnisinniges Lächeln aus.

Großes Interesse an dem Bahá´í-Glauben kam nach den Vorträgen zum vierten Thema sseitens der Zuhörer, aber auch der Referentinnen und der Moderatorin, auf:

Wie machen die Bahá´i das, ohne Klerus, ohne Kirchen, in ihren jährlich gewählten Gemeinden, in ihren Familien? Die Entwicklung der Gemeinde- und Verwaltungsordnung,
weltweit, die selbstverständliche Teilnahme der Frauen an Gemeindeaufgaben, die zuhause den gleichberechtigten Einsatz des Ehemannes erfordert, das Verständnis der Gleichberechtigung von Mann und Frau als Prinzip, als Grundvoraussetzung für die
Verwirklichung des Friedens und der Einheit der Menschheit, machte nachdenklich.

In liberalen jüdischen Gemeinden gibt es heute in Deutschland und den USA vereinzelt auch Frauen als Rabbiner und Kantoren, in der Evangelischen Kirche auch Pastorinnen bzw. weibliche Pfarrer, in der Katholischen Kirche jedoch weiterhin nicht.

In allen vorangegangenen Religionsgemeinschaften sind die Frauen unterrepräsentiert, es
sei denn, im Ehrenamt, wie die christliche Referentin auch für ihren Glauben feststellte. Und von dem Gemeindeleben der Ahmadiyya wurde berichtet, dass die Frauen ermutigt werden, eine gewichtigere Rolle im Gemeindeleben einzunehmen, in einer Frauenorganisation „um anderen zu helfen und Gutes zu tun“.

Ist die Rolle der Frau im Gemeindeleben in den vorangegangenen Religionen weitgehend auf das Familienleben, der Erziehung der Kinder und das Ehrenamt beschränkt, wie
ausführlich berichtet wurde, setzte sich das Verständnis der Rolle der Frau in der Bahá´í-Religion deutlich ab. Die Frauen sind für die Entwicklung der Bahá´í-Gemeinde
gleichberechtigt tätig. Die Erziehung und Bildung der Mädchen wird als besonders wichtig erachtet, da sie die zukünftigen ersten Erzieherinnen der Kinder werden. Hier kamen einige Fragen auf, ua, ob die Frauen auch bei uns wieder die traditionelle Rolle einzunehmen hat. Die ausdrückliche Ermahnung Bahá´u´lláhs, dass der Vater sein Vaterschaftsrecht verwirkt, der sich dem Befehl, seine Kinder zu erziehen, entzieht, verblüffte sichtbar die Anwesenden. Es wurde
deutlich, daß auch hier Frau und Mann zusammen verantwortlich sind und zusammen wirken, Schulter an Schulter.

„Es geht also auch anders, hörten wir,“ konstatierte die Moderatorin am Ende dieses Abends.

Diese Veranstaltung war ein Lichtblick für alle Teilnehmer*innen, die den Duft der Lehre Gottes und religiöser Erfahrung spüren ließ! Welch eine Freude!

Zum Abschluss sprach jede Referentin ein Gebet, zu denen die Zuhörer sich erhoben. Das Gebet für die Menschheit, von Abdu´l-Bahá, hier zu hören, bewegte mich nach diesem Abend tief.


Sigrid Franke, Husum