Eine Erklärung der Internationalen Bahá’í-Gemeinde zur 68. Sitzung der Frauenrechtskommission

Die Rolle der Institutionen beim Aufbau geschlechtergerechter Gesellschaften neu denken

New York, 22. Februar 2024

In dem Dorf Katuyola in Sambia organisierte das von ihren Mitgliedern gewählte Leitungsgremium einer lokalen Glaubensgemeinschaft ein zweitägiges Treffen von etwa 120 ortsansässigen Frauen verschiedener Glaubenshintergründe, um Fragen im Zusammenhang mit der Rolle der Frau in der Gesellschaft zu untersuchen. Männliche Mitglieder dieser Institution kümmerten sich um logistische Vorkehrungen wie das Kochen und Servieren von Speisen, so dass weibliche Mitglieder ausgiebiger an der Versammlung teilnehmen konnten – ein Maß an Unterstützung, das von vielen als bemerkenswerte Entwicklung im historischen Kontext ihrer Gesellschaft beschrieben wird.

Als Teil eines laufenden Beratungs- und Kooperationsprozesses zwischen traditionellen Führern, Glaubensvertreterinnen und -vertretern, Eltern, Jugendlichen und Kindern entwickelten sich aus diesem Treffen Alphabetisierungsklassen für Frauen im Dorf, Unterstützung bei Hinterhofgärten, eine lokale Sparkasse, um ihnen dabei zu helfen, Einkommen zu erbringen, und die Gründung eines lokalen Bildungszentrums. Ebenso wichtig war, dass die Versammlung untersuchte, welche Änderungen in den Vorgehensweisen des Dorfes – einschließlich seiner institutionellen Strukturen und Normen – erforderlich wären, um den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter besser zu verwirklichen und um Hindernisse für das volle Engagement von Frauen im Gemeindeleben zu beseitigen.

Was bedeutet es für Institutionen, der Gleichstellung der Geschlechter und ihren vielen Erfordernissen Priorität einzuräumen, anstatt Frauen ins Abseits zu drängen? Was heißt es für die Gleichberechtigung der Geschlechter, zugleich in einer Vielzahl von Institutionen voranzukommen, anstatt in einem Bereich Fortschritte zu machen, die durch fortlaufende Hindernisse auf anderen Gebieten behindert werden? Was bedeutet es für Institutionen, durch Qualitäten wie Anpassungsfähigkeit, Ansprechbarkeit und Zusammenarbeit charakterisiert zu werden, anstatt durch Merkmale, die traditionell mit patriarchalischen Normen verbunden werden wie autoritäres oder wettbewerbsorientiertes Verhalten?

Erfahrungen wie die in Katuyola beginnen, auf solche Fragen einzugehen und geben einen Einblick, welchen Einfluss Institutionen auf die Rollen, Verhältnisse und Möglichkeiten haben, die Frauen und Mädchen offenstehen. Gesellschaften, die sich durch stabile Strukturen hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit auszeichnen, werden nur dann möglich, wenn Institutionen – vielleicht vor allem in den Bereichen Bildung, Regierungsführung und Handel – zunehmend nach den Grundsätzen von Gleichheit und Gerechtigkeit umgestaltet werden, und wenn die Mitglieder dieser Institutionen sich bemühen, diese Grundsätze in ihrer Arbeit und ihrem Dienst anzuwenden.

Leider haben verschiedene Formen der Korruption oder einfach ein Mangel an Effektivität in der Arbeitsweise – ohne die erforderliche institutionelle Zielrichtung, ohne das notwendige ethische Engagement und ohne entsprechende operative Fähigkeiten – zu einer Erosion des öffentlichen Vertrauens in die Institutionen und vielerorts zu einer wachsenden Krise der Verwaltung und Regierungsgestaltung geführt. Die Internationale Bahá’í-Gemeinde (BIC) begrüßt daher, dass die Frauenrechtskommission ihren diesjährigen – ebenso relevanten wie zeitgemäßen – Schwerpunkt auf die Stärkung von Institutionen legt, um die Gleichstellung der Geschlechter und die Ermächtigung von Frauen und Mädchen voranzutreiben.

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Es ist eine bedauerliche Tatsache, dass viele Institutionen und ihre Mitglieder heute der Aufrechterhaltung des Status quo verpflichtet sind. Dabei arbeiten einige aktiv daran, vorurteilsbehaftete oder ungerechte Erscheinungsformen der Geschlechterverhältnisse aufrechtzuerhalten. Doch viele andere fördern tagtäglich die Sache der Gleichberechtigung: jene, die formal mit der Frauenbewegung verbunden sind bis hin zu denen, die allgemeine Anstrengungen unternehmen, die jedoch ebenso Frauen und Mädchen zugutekommen. All diese Institutionen dahingehend zu unterstützen, bei der guten Arbeit, die sie erledigen, effektiver zu werden – zum Beispiel durch die Organisation regelmäßiger Treffen und Orte, wo verschiedene Organisationen in einem gemeinsamen Lernprozess ihre Erfahrungen miteinander austauschen und daraus Nutzen ziehen können – ist ein zentrales Mittel, um sicher zu stellen, dass sich Politik und Entscheidungen zunehmend geschlechtergerecht ausrichten. Agenturen und Organisationen, die mit der Frauenbewegung in Verbindung stehen, täten daher gut daran, sich mit der Arbeitsweise der einschlägigen Institutionen zu befassen, so wie sich auch Institutionen aller Art mit dem Fortschritt der Frauen befassen müssen.

Um die Entfaltung geschlechtergerechter Gesellschaften voranzubringen, müssen institutionelle Strukturen einen Modus kontinuierlicher Anpassung an die sich verändernden gesellschaftlichen Realitäten willkommen heißen. Die Notwendigkeit institutioneller Flexibilität – hinsichtlich Struktur, Arbeitsnormen, Organisationsentwicklung und ähnlicher Faktoren – ist denjenigen hinlänglich bekannt, die mit internationalen Prozessen vertraut sind. In der Praxis stößt diese Bereitschaft zur Anpassung jedoch häufig auf Widerstand, sei es aus Angst vor Veränderung oder einfach wegen der Trägheit des Status quo. Solche Tendenzen müssen überwunden werden, wenn die Institutionen ihre Ziele effektiv verfolgen sollen. Vor allem muss ein tiefes Gefühl vereinten Bemühens um die gemeinsame Sache der Geschlechtergerechtigkeit die Loyalität zu einer bestimmten Abteilung, einem Programm, einer Agentur oder einer Finanzierungsquelle übertreffen.

Indem die Institutionen danach streben, ihre Arbeitsweise zu verbessern, können sie die Umsetzung globaler Agenden oder nationaler Politik dabei unterstützen, besser auf die kontextspezifischen Gegebenheiten einzugehen, mit denen Frauen und Mädchen in verschiedenen Regionen konfrontiert sind. Hilfreich in diesem Zusammenhang ist die Idee eines gemeinsamen konzeptionellen Rahmens, der sowohl die allgemeinen Grundsätze, die das Handeln an der Basis leiten sollen, als auch die zugrundeliegenden methodischen Ansätze definiert. Die Bemühungen entlang eines solchen Rahmens zu organisieren gewährleistet eine Ausgangsbasis gemeinsamer Elemente, die es unterschiedlichen Akteuren ermöglicht, produktiv miteinander zu reden und zu einem kollektiven Erfahrungs- und Wissensschatz beizutragen – und dabei von den Ansätzen anderer zu lernen, ohne sie blindlings nachzuahmen.

Außerdem können Institutionen einen wichtigen Dienst leisten, indem sie den Informations- und Wissensfluss – auch von einer Handlungs- oder Analyseebene zur anderen – ermöglichen. In den Bestrebungen für fruchtbaren gesellschaftlichem Wandel, vor allem in Bereichen von Überzeugung, Einstellung und Werten wie z.B. Geschlechtergerechtigkeit, entstehen die reichhaltigsten Erfahrungswerte häufig an den Graswurzeln. Oft tauchen gerade an den Straßenecken, auf Dorfplätzen oder an Küchentischen die tiefsten Einsichten darüber auf, wie sich vorgefasste Normen und die vielen Gebräuche des Patriarchats nach und nach lockern und Platz für neue Beziehungen zwischen Frauen und Männern schaffen können. Solche Prozesse sind jedoch begrenzt, wenn sie nicht auf mehreren Ebenen mit

Forschungs- und Erkenntniskanälen verbunden sind. Ein wichtiges Erfordernis ist daher die Stärkung institutioneller Mechanismen, durch die lokale Gemeinschaften Graswurzelerfahrungen hinsichtlich des Fortschritts der Frauen sammeln können, die auf nationaler oder globaler Ebene zusammengefasst und analysiert werden können, um auf diese Weise konstruktive Strukturen und wirksame Ansätze zu identifizieren. Die daraus resultierenden Erkenntnisse können dann über dieselben Kanäle an die Graswurzel zurückgegeben werden und in zukünftige Planungen und Maßnahmen einfließen.

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Institutionen sind in Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften und zahlreichen Einzelpersonen für den Fortschritt des Gemeinwohls tätig. In einem breiten Spektrum kultureller Kontexte haben sich die oben beschriebenen Grundsätze und Elemente als entscheidend für jeden dieser drei Hauptakteure erwiesen, den Grundsatz der Geschlechtergerechtigkeit gewissenhafter einzuhalten und konsequenter anzuwenden.

Institutionen wurden zu wirksameren Vertreterinnen eines echten gesellschaftlichen Wandels, nachdem sie sowohl die Prozesse ihrer internen Arbeitsweise verbessert als auch mit grundlegenden moralischen und ethischen Überzeugungen in Einklang gebracht haben: zum Beispiel, dass Frauen und Männer hinsichtlich ihrer Fähigkeiten und ihres Potenzial schon immer gleich waren; dass das Wohlergehen jedes Teils der Menschheit untrennbar mit dem Wohlergehen des Ganzen verbunden ist; dass die rationale Erforschung der Wahrheit sich gegenüber dem Festhalten an starren Ideologien oder haltlosen Vorurteilen durchsetzen muss.

Obwohl nur bescheidene Schritte auf einem viel längeren Weg: Beispiele wie die fortdauernden Frauenversammlungen in Katuyola offenbaren Möglichkeiten für neue Ansätze für die gesellschaftlichen Institutionen und für neue Beziehungsstrukturen zwischen ihnen und den Individuen und den Gemeinschaften, denen sie dienen. In solchen Erfahrungen können Beispiele erkannt werden, wie sich der Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter in einer Bevölkerungsgruppe zu einem wertgeschätzten und eigenständigen Ziel entwickelt, und im Übrigen zu einem Mittel wird, auch alle anderen Ziele wirksamer zu erreichen. Auf diese Weise kann eine kohärente und breit gefächerte Bewegung für den Aufbau von geschlechtergerechteren Gesellschaften in immer mehr Bereichen Gestalt annehmen.

https://www.bic.org/…/reimagining-role-institutions…

Übertragung ins Deutsche: BFF e.V. – Feb./März 2024