Gemeinsam für eine Kultur ohne Vorurteile


Statement des Bahá’í Frauen Forums gegen Sexismus und Rassismus

– anlässlich der Jubiläumstagung 20 Jahre BFF – 21.-22. Oktober 2016 –

Das Aufeinandertreffen verschiedener Kulturen und Traditionen stellt unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen. Begreifen wir diese Situation als Chance! Sie kann der Beginn eines Prozesses sein, in dem alle ‒ die Politik, gesellschaftliche Institutionen, aber auch jeder Einzelne ‒ gemeinsam daran arbeiten, eine neue Kultur zu entwickeln, eine Kultur der Vielfalt, in der letztlich alle Menschen unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft und Hautfarbe, Religion, Tradition und Überzeugung angstfrei leben und sich vorurteilsfrei, respektvoll, gleichberechtigt und gleichwürdig begegnen können.

Eine besonders problematische Herausforderung ist die Beseitigung von diskriminierenden Einstellungen und von Gewalt gegen Frauen und Mädchen.

In allen Teilen der Welt ‒ auch in unserer westlichen Gesellschaft ‒ sind Frauen und Mädchen in eine Kultur eingebunden, die Gewalt gegen sie ermöglicht oder sogar fördert. Außer den gravierenden Folgen für die Frauen und Mädchen selbst ist diese Gewalt auch ein Akt der Aggression gegen die Gesellschaft als Ganzes. Verzerrte Darstellungen von Macht und Autorität fördern überdies Haltungen und Gewohnheiten, die an den Arbeitsplatz, in die Gemeinde und ins öffentliche Leben getragen werden.

Die tief verwurzelten Überzeugungen über die Natur von Frauen und Männern und ihr Verhältnis zueinander haben sich als das größte Hindernis für die Realisierung einer gleichberechtigten sozialen Ordnung erwiesen.

 


Gewalt gegen Frauen und Mädchen darf durch keinerlei Sitte, Tradition oder religiöse Interpretation entschuldigt werden

Die bedauernswerte Gepflogenheit, sich hinter kulturellen Traditionen zu verstecken, die Gewalt gegen Frauen erlauben, erzeugt ein Klima rechtlicher und moralischer Straffreiheit. Die Verantwortung des Staates, Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen, muss Vorrang vor solcherart Gebräuchen erhalten. Religiöse Führer_innen, die eine entscheidende Rolle dabei spielen, Einstellungen und Überzeugungen zu formen, sollten ohne zu zögern unmissverständlich ihre Stimme gegen die Verletzung der Menschenrechte, gegen jegliche Art von Gewalt und Fanatismus und gegen die Ablehnung der Gleichberechtigung, wie sie im Namen von Religionen verübt werden, erheben sowie das Prinzip der Gleichberechtigung von Frau und Mann unterstützen.

Die Weltgemeinschaft, Regierungen wie Zivilgesellschaft, muss von reaktiven Ansätzen auf Konzepte wechseln, die Gewaltprävention in den Mittelpunkt stellen

Prävention sollte damit beginnen, eher die zugrundeliegenden Ursachen von Gewalt zu identifizieren und in Angriff zu nehmen statt ihrer Symptome. Auf Prävention abzielende Bestrebungen sollten sich mit den vorherrschenden Auffassungen von Geschlechteridentität und von Macht auseinandersetzen, und ebenso mit den Formen von Diskriminierung und Benachteiligung, die Frauen und Mädchen einem Gewaltrisiko aussetzen.

Zunehmend wird deutlich, dass die Beseitigung der Gewalt nicht allein auf der gesetzlichen und politischen Ebene durchgesetzt werden kann. Es sind tiefgreifende Veränderungen in den Einstellungen der Menschen sowie in den gesellschaftlichen Strukturen erforderlich, um die Bedingungen für ein respektvolles und gleichberechtigtes Miteinander zu schaffen. Die Überzeugung, dass die Ebenbürtigkeit von Frau und Mann

nicht einfach nur ein hehres Ziel ist, sondern eine grundlegende Wahrheit des menschlichen Wesens, die in die Tat umzusetzen ist, könnte Ausgangs- und Ankerpunkt dieser Veränderungen sein. Denn die Seele hat kein Geschlecht!

Aus Bahá´í-Sicht sollte jede Maßnahme und jedes Programm, das sozialen Wandel bewirken will, von dem Bewusstsein geleitet sein, dass der Mensch eine geistige Dimension besitzt. Moralische Kompetenzen, wenn sie mit den Idealen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Einklang stehen und darauf abzielen, die geistige, soziale und intellektuelle Entwicklung aller Menschen voranzubringen, sind ein wesentlicher Faktor auf dem Weg in eine gewaltfreie Gesellschaft.


Frauen und Mädchen stärken

Empowerment von Frauen und Mädchen ist der Schlüssel für den Schutz ihrer Menschenrechte und dafür, den Kreis der Gewalt zu durchbrechen. Empowerment ist ein Prozess der Erkenntnis, Bildung von Fähigkeiten und Handlung. Einzelne werden bemächtigt, indem sie ihren inneren Wert, die fundamentale Gleichheit aller Menschen und ihre Fähigkeit erkennen, ihre eigene Situation und die der weiteren Gesellschaft zu verbessern. Auf der kollektiven Ebene beinhaltet Empowerment die Transformation von Herrschaftsbeziehungen in gleichberechtigte, auf Gegenseitigkeit beruhende Beziehungen.

Die Rolle von Männern und Jungen

Die Rolle von Männern bei der Thematisierung dieser Gewalt und Ausbeutung ist ein weiteres Schlüsselmoment bei der Prävention. Männer und Jungen müssen bewusste Anstrengungen unternehmen, um das Prinzip der Gleichberechtigung und Ebenbürtigkeit von Frauen und Männern und dessen Beschaffenheit sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben vollständig zu verstehen. Sie müssen ermutigt werden, ihre Stimme entschieden gegen Gewalt und Ausbeutung zu erheben und nicht die Täter zu schützen. Der Erziehung von Jungen, speziell im Hinblick auf Themen rund um Geschlechtergerechtigkeit, muss entsprechende Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Offener, kritischer und differenzierter Diskurs

Um der geschlechtsspezifischen Diskriminierung, dem Sexismus, zu begegnen sollten Frauen und Männer jedweder Herkunft ‒ ohne sich spalten zu lassen – konstruktive gesellschaftliche Kräfte in Bewegung setzen, eingedenk der geistigen Dimension des Menschen. Das bedeutet auch, sich gegen jederart Rassismus zu verwahren, der Diskriminierung aufgrund der Herkunft. Denn nur gemeinsame Bemühungen können erfolgreich sein.

Gewalt, Vorurteile und Diskriminierung gehen uns alle an. Wir wünschen uns eine offene Debatte über das Verhältnis von Migration und Geschlecht, eine Reflexion der eigenen Haltung und stereotyper Zuschreibungen. Wir wünschen uns einen Diskurs über unser Verständnis von partnerschaftlichem Miteinander und Zusammenarbeit und über unser Verständnis von der Einheit der Menschheit. Wir wünschen uns von allen beteiligten Akteur_innen eine intensive Zusammenarbeit dabei, eine gemeinsame Kultur ohne Vorurteile, Diskriminierung und Gewalt zu entwickeln – eine Kultur des Respekts, der gegenseitigen Unterstützung und der Gleichberechtigung.